Denkraum – Gespräche, Vorträge und Begegnungen
„Ein Mensch, der sein Selbst aufgeben möchte, entdeckt tatsächlich, dass die Möglichkeiten der menschlichen Existenz so unbegrenzt sind wie die Schöpfung. Doch die Erschaffung einer neuen Persönlichkeit ist so schwierig und so hoffnungslos wie eine Neuerschaffung der Welt.“
Hannah Arendt, Wir Flüchtlinge, 1943
Widmet man sich den Themen Flucht und Migration genauer, tauchen viele verwirrende Fragen und auch Ungewissheiten auf: Wussten Sie, dass laut neuesten Berechnungen des UNHCR jeder 113. Mensch auf der Welt entweder ein Binnenmigrant, auf der Suche nach Asyl oder auf der Flucht ist? Dass sich die Migrationsströme der Weltbevölkerung schon seit mehr als 500 Jahren relativ konstant bewegen? Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Einwanderer, einem Migranten und einem Asylanten, die hier in einem Atemzug genannt werden, und was bezeichnet Menschen im Exil im Unterschied zu Menschen in der Diaspora?
Das Ausstellungsprojekt UNCERTAIN STATES bietet eine Plattform für Recherchen und Statistiken, vor allem aber für Diskurse und Dialoge. Unter dem von Hannah Arendt geprägten Begriff des „Denkraums“ wird innerhalb der Ausstellung ein multifunktionaler Raum des Dialogs für disziplinenübergreifende Begleitveranstaltungen geschaffen. Zahlreich an Filmen, Konzerten, Lesungen, Theatervorstellungen und Symposien,
begleitet der Denkraum diese Veranstaltungen mit einer ergänzenden Reihe von Gesprächen und Begegnungen, Lecture Demonstrations und Performances und dient so vor allem als Probebühne und Ort des Zuhörens. Denn in allen Bereichen der Gesellschaft finden die Themen Migration und Unsicherheit einen Anknüpfungspunkt. Hier stellen Wissenschaftler, Studenten, Aktivisten, Künstler und ihre geflüchteten Kollegen zusammen ihre Anliegen, Visionen und unterschiedlichen Einschätzungen in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten vor. Parallel dazu geben die Wandgrafiken des Projekts Global Flow of People einen Überblick über die globalen Flüchtlingszahlen vor und nach 2015. Sie visualisieren unter anderem die Flüchtlingsströme der regulären Migration von 2005 bis 2010, geben Auskunft über die anerkannten Flüchtlinge seit Ende 2015 und informieren über alle Asylanträge, die im Jahr 2015 in den 50 begehrtesten Einwanderungsländern neu gestellt wurden. In einem offenen Archiv können Informationen über die wichtigsten Initiativen zum Thema Migration in Büchern, Magazinen und Künstlerkatalogen recherchiert werden. Das Migration-Audio-Archiv bietet zudem eine Sammlung hörbarer Migrationsgeschichten, die die persönlichen Stimmen und Erfahrungen von Einwanderern vermitteln.
Während der gesamten Ausstellungszeit öffnet FLAX Foreign Local Artistic Xchange einmal wöchentlich ein Pop-Up-Office im Denkraum, in dem geflohene Kulturschaffende von prominenten lokalen Künstlerinnen und Künstlern wie Katharina Grosse, Nasan Tur, Katharina Narbutovic, Alya Sebti, Ali Kaaf und Lanna Idriss Beratung und Unterstützung zu Bildungs- und Fördermöglichkeiten für Kunst- und Kulturprojekte erhalten können. Vom 20. Oktober bis 5. November findet das Festival „Goethe-Institut Damaskus | Im Exil“ in Kooperation mit dem Goethe-Institut statt. An zwei Abenden werden syrische Filmemacher zu Gast in der Akademie der Künste sein, um die Geschichte des syrischen Films vorzustellen und ihre Einblicke in die aktuelle Situation vor Ort zu teilen.
Vierzehntägig verwandelt sich der Denkraum Freitagnachmittags in ein Forum für Affective Societies, den neuen Sonderforschungsbereich der Freien Universität Berlin. Hier stehen eine Gruppe von Sozial- und Kulturwissenschaftlern und Studenten zum Austausch und gemeinsamen Lernen bereit. An sechs Terminen werden sowohl ausgewählte Künstler und künstlerische Beiträge von UNCERTAIN STATES als auch korrespondierende Themen aufgegriffen und von den unterschiedlichen Fachgebieten untersucht und diskutiert.
Außerdem werden in drei Symposien Fragen zu Themen wie „Making Nachbarschaft“ gestellt, an die Baukunst des vergessenen jüdischen Architekten Adolf Rading wird erinnert und das kulturpolitische Engagement in der Gesellschaft hinterfragt. Die Kunst des strukturierten Zuhörens wird uns über den gesamten Ausstellungszeitraum Rudolf Giesselmann in seinem Listening Project vermitteln.