Die Stadt ohne Juden
Die Stadt ohne Juden, ein österreichischer Stummfilm von Hans Karl Breslauer aus dem Jahr 1924, der auf dem gleichnamigen, 1922 erschienenen Roman von Hugo Bettauer basiert, ist ein einzigartiges Zeitdokument mit aufrüttelnd aktueller Bedeutung. Der Film – „wie eine apokalyptische Vision dessen, was später Realität werden sollte“ - folgte der satirisch verbrämten Dystopie (Vertreibung der Juden) der Romanvorlage ebenso wie dem humanistischen Schlussappell: Nur im friedlichen Zusammenleben von Juden und Christen ist eine gute Zukunft möglich.
Der Fund einer verschollenen Filmkopie auf einem Flohmarkt in Paris ermöglichte 2015 die Rekonstruktion und Digitalisierung des Films, der Einblicke in jüdisches Leben in Wien mit klar antisemitischer Konnotation sowie offene Gewalt und Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung gibt. 2017 wurde der Film mit der Neuvertonung durch Olga Neuwirth, vielfach prämierte österreichische Komponistin und Mitglied der Akademie der Künste, durch das Ensemble PHACE aus Wien uraufgeführt. Neuwirth analysierte das Filmmaterial Bild für Bild und fand mit den Mitteln anspruchsvoller Camouflagetechniken, in einer Kombination aus ironischer Distanz und klangmächtiger Wut, eine persönliche, in die Gegenwart verweisende musikalische Perspektive auf die Vielschichtigkeit des Materials und die Grausamkeit des Menschen. Mit einer Einführung von Dr. Nikolaus Wostry, Leiter Filmarchiv Austria.
„Lasst uns Angst haben vor den Menschen, denn in uns gibt es viel, dass uns beängstigen sollte!“ (Olga Neuwirth, 2017)
Mitwirkende:
Nacho de Paz, Dirigent
PHACE
Walter Seebacher, Klarinette
Michael Krenn, Saxophon
Spiros Laskaridis, Trompete
Stefan Obmann, Posaune
Mathilde Hoursiangou, Keyboard
Berndt Thurner, Schlagzeug
Samuel Toro Perez, E-Gitarre
Petra Ackermann, Viola
Barbara Riccabona, Violoncello
Alfred Reiter, Klangregie
Eine Produktion von Wiener Konzerthaus, Elbphilharmonie Hamburg, Ensemble Intercontemporain, Barbican Centre, Sinfonieorchester Basel & ZDF/ARTE in Kooperation mit Wien Modern und Filmarchiv Austria
PHACE wird gefördert vom SKE-Fonds (Austro Mechana), vom Bundesministerium für Kunst & Kultur (BMKÖS) und der Stadt Wien Kultur.
„(…) um die Frage „warum jetzt“ ging es nicht, ich wurde gebeten, das (die Neuvertonung) zu tun, als verschollene Aufnahmen des Films auf einem Flohmarkt in Paris auftauchten und dem Filmarchiv Austria übergeben wurden. Aber dieser Film ist nicht einfach irgendein alter Stummfilm, sondern ein politisch engagiertes Werk. Und jetzt, da Politiker wieder leere, formelle Ausreden für Rassismus und alltägliches Hassschüren finden, sollte endlich Schluss sein mit der Verharmlosung von überkommenen sprachlichen Begriffen. Es ist tatsächlich an der Zeit, sich nicht mehr dumm zu stellen und die Parolen, mit denen wir überschüttet werden, nicht länger zu verharmlosen. Der Stummfilm »Die Stadt ohne Juden« war der am meisten gesuchte verlorene Film in der Geschichte des österreichischen Films. Das Filmarchiv Austria, das den Film sorgfältig restauriert hat, sagt, es gäbe keinen anderen Film aus dieser Zeit, der sich so kompromisslos mit der Judenverfolgung auseinandersetzt und jüdisches Leben darstellt. Heute wird dieser Judenhass wieder zum Ausdruck gebracht, immer unverblümter – sogar in westlichen Demokratien. Im Jahr 1924 entstanden, ist der Film wie eine apokalyptische Vision dessen, was später Realität werden sollte. Der Journalist und Autor Hugo Bettauer, auf dessen Buch der Film basiert, wurde nur wenige Monate nach der Premiere des Films in seinem Büro von einem jungen Nazi ermordet. Der Mörder wurde nie verurteilt, er stand unter dem Schutz antisemitischer Anwälte und einflussreicher Politiker. (…) In der Tat eine sehr bittere Ironie. Es war mir wichtig, keine der Figuren zu sehr zu überzeichnen, sondern sie so ernst zu nehmen, dass es der Zuschauer auch tut. Denn trotz meines Erstarrens vor Entsetzen (auch weil sich nicht viel geändert zu haben scheint seit dem Erscheinen des Buches 1922), und um Klischees zu entgehen, auch wenn ich sie oft andeute, habe ich versucht, eine Lebendigkeit zu bewahren, indem die Musik zugleich anrührend und hart ist, herzenswarm und offen, amüsant und wütend, beteiligt und distanziert, humorvoll und traurig – aber das war sehr schwierig für mich. Es geht nicht nur um den tief in der österreichischen Seele verwurzelten Antisemitismus, sondern auch um Identität und Fremdheit, Heimat und Flucht. (…)“
Zitiert aus: Olga Neuwirth in einem Interview anlässlich der Uraufführung 2017, Programmheft Konzerthaus Wien/Wien Modern
Begleitprogram zur Ausstellung MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus
Die Stadt ohne Juden, ein österreichischer Stummfilm von Hans Karl Breslauer aus dem Jahr 1924, der auf dem gleichnamigen, 1922 erschienenen Roman von Hugo Bettauer basiert, ist ein einzigartiges Zeitdokument mit aufrüttelnd aktueller Bedeutung. Der Film – „wie eine apokalyptische Vision dessen, was später Realität werden sollte“ - folgte der satirisch verbrämten Dystopie (Vertreibung der Juden) der Romanvorlage ebenso wie dem humanistischen Schlussappell: Nur im friedlichen Zusammenleben von Juden und Christen ist eine gute Zukunft möglich.
Der Fund einer verschollenen Filmkopie auf einem Flohmarkt in Paris ermöglichte 2015 die Rekonstruktion und Digitalisierung des Films, der Einblicke in jüdisches Leben in Wien mit klar antisemitischer Konnotation sowie offene Gewalt und Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung gibt. 2017 wurde der Film mit der Neuvertonung durch Olga Neuwirth, vielfach prämierte österreichische Komponistin und Mitglied der Akademie der Künste, durch das Ensemble PHACE aus Wien uraufgeführt. Neuwirth analysierte das Filmmaterial Bild für Bild und fand mit den Mitteln anspruchsvoller Camouflagetechniken, in einer Kombination aus ironischer Distanz und klangmächtiger Wut, eine persönliche, in die Gegenwart verweisende musikalische Perspektive auf die Vielschichtigkeit des Materials und die Grausamkeit des Menschen.
„Lasst uns Angst haben vor den Menschen, denn in uns gibt es viel, dass uns beängstigen sollte!“ (Olga Neuwirth, 2017)
Mitwirkende:
Nacho de Paz, Dirigent
PHACE
Walter Seebacher, Klarinette
Michael Krenn, Saxophon
Spiros Laskaridis, Trompete
Stefan Obmann, Posaune
Mathilde Hoursiangou, Keyboard
Berndt Thurner, Schlagzeug
Samuel Toro Perez, E-Gitarre
Petra Ackermann, Viola
Barbara Riccabona, Violoncello
Alfred Reiter, Klangregie
Eine Produktion von Wiener Konzerthaus, Elbphilharmonie Hamburg, Ensemble Intercontemporain, Barbican Centre, Sinfonieorchester Basel & ZDF/ARTE in Kooperation mit Wien Modern und Filmarchiv Austria
PHACE wird gefördert vom SKE-Fonds (Austro Mechana), vom Bundesministerium für Kunst & Kultur (BMKÖS) und der Stadt Wien Kultur.
„(…) um die Frage „warum jetzt“ ging es nicht, ich wurde gebeten, das (die Neuvertonung) zu tun, als verschollene Aufnahmen des Films auf einem Flohmarkt in Paris auftauchten und dem Filmarchiv Austria übergeben wurden. Aber dieser Film ist nicht einfach irgendein alter Stummfilm, sondern ein politisch engagiertes Werk. Und jetzt, da Politiker wieder leere, formelle Ausreden für Rassismus und alltägliches Hassschüren finden, sollte endlich Schluss sein mit der Verharmlosung von überkommenen sprachlichen Begriffen. Es ist tatsächlich an der Zeit, sich nicht mehr dumm zu stellen und die Parolen, mit denen wir überschüttet werden, nicht länger zu verharmlosen. Der Stummfilm »Die Stadt ohne Juden« war der am meisten gesuchte verlorene Film in der Geschichte des österreichischen Films. Das Filmarchiv Austria, das den Film sorgfältig restauriert hat, sagt, es gäbe keinen anderen Film aus dieser Zeit, der sich so kompromisslos mit der Judenverfolgung auseinandersetzt und jüdisches Leben darstellt. Heute wird dieser Judenhass wieder zum Ausdruck gebracht, immer unverblümter – sogar in westlichen Demokratien. Im Jahr 1924 entstanden, ist der Film wie eine apokalyptische Vision dessen, was später Realität werden sollte. Der Journalist und Autor Hugo Bettauer, auf dessen Buch der Film basiert, wurde nur wenige Monate nach der Premiere des Films in seinem Büro von einem jungen Nazi ermordet. Der Mörder wurde nie verurteilt, er stand unter dem Schutz antisemitischer Anwälte und einflussreicher Politiker. (…) In der Tat eine sehr bittere Ironie. Es war mir wichtig, keine der Figuren zu sehr zu überzeichnen, sondern sie so ernst zu nehmen, dass es der Zuschauer auch tut. Denn trotz meines Erstarrens vor Entsetzen (auch weil sich nicht viel geändert zu haben scheint seit dem Erscheinen des Buches 1922), und um Klischees zu entgehen, auch wenn ich sie oft andeute, habe ich versucht, eine Lebendigkeit zu bewahren, indem die Musik zugleich anrührend und hart ist, herzenswarm und offen, amüsant und wütend, beteiligt und distanziert, humorvoll und traurig – aber das war sehr schwierig für mich. Es geht nicht nur um den tief in der österreichischen Seele verwurzelten Antisemitismus, sondern auch um Identität und Fremdheit, Heimat und Flucht. (…)“
Zitiert aus: Olga Neuwirth in einem Interview anlässlich der Uraufführung 2017, Programmheft Konzerthaus Wien/Wien Modern