Ein telepathisches Konzert von PUTIF mit Jennifer Walshe, Tomomi Adachi und Hardi Kurda
Ein digitales Projekt der Sektion Musik im Rahmen des Programms zur Ausstellung „John Heartfield – Fotografie plus Dynamit“
Inspiriert von John Heartfields Werk schlossen sich am 19.6.2020 PUTIF - The People’s United Telepathic Improvisation Front (Tomomi Adachi & Jennifer Walshe) – mit Komponist und Klangkünstler Hardi Kurda für ein telepathisches Konzert zusammen.
Die Collage der drei separat aufgenommenen Improvisationen können Sie hier hören:
Das gemeinsam-Musik-machen ist eine stark an die Präsenz in einem Raum gebundene Praxis. Das gegenseitige Hören und Einfühlen, das bei den Zuhörern zu diesem besonderen Erlebnis musikalischer Teilhabe führt, hat etwas Zwingendes. So klar dies scheint, ist es doch oft gerade die räumliche Trennung, die zu neuen Ideen reizt, etwa über eine technische digitale Vernetzung einen virtuellen gemeinsamen Raum zu schaffen.
Durch die Corona-bedingten starken Einschränkungen für Konzerte, ist die Fragestellung momentan besonders virulent: Wie kann gemeinsam improvisiert werden, wie können Orchester oder Chöre ihren gemeinsamen musikalischen Raum erzeugen? Wie kann ein Kontakt zum Publikum hergestellt werden? Technische Verbindungen lassen nicht selten einen schalen Eindruck zurück, weil sie asynchron sind oder eine spontane Kreativität vermissen lassen.
Bereits 2013 entwickelten die beiden vielbeschäftigten und reisenden Composer-Performer Tomomi Adachi und Jennifer Walshe, die bereits viele gemeinsame Projekte realisiert hatten für die Zeiten räumlicher Distanz ein neues Format. Sie schafften einen miteinander vereinbarten Zeitraum, in dem sie unabhängig, aber mit Bewusstsein des anderen improvisierten, und nannten dies ein telepathisches Konzert, gründeten gar ironisch The People’s United Telepathic Improvisation Front PUTIF. Wobei das Konzept nicht bei diesem Witz stehen bleibt, denn beide nehmen ihre Improvisation auf und die beiden Aufnahmen werden anschließend zu einer Einzigen collagiert und veröffentlicht. Was für Qualitäten nun hat diese Aufnahme, führen die Rahmenbedingungen (die Musiker kennen sich gut, der Zeitraum ist genau auf 10 Minuten abgesteckt) zu einem Gelingen oder erzeugt der Hörer der Aufnahme in der zufällig entstandenen Collage (s)einen musikalischen Sinn?
Heartfields pionierhafte Arbeit mit Collagen ermutigt die Betrachter, Verbindungen zwischen radikal unterschiedlichen visuellen Materialien herzustellen. Zugleich verorten ihn seine Kollaborationen mit Bertolt Brecht als Wegbereiter der Performance im 20. Jahrhundert. Dass Heartfield verspätet mit von ihm angefertigten Teilen des Bühnenbilds bei einer Theateraufführung Brechts eintraf, veranlasste diesen, die Aufführung zu stoppen und das Publikum um Abstimmung zu bitten. Sollte Heartfield seine Kulissen noch aufbauen? Oder sollte das Theaterstück ohne die Kulissen weitergehen? Dieses Ereignis führte Brecht zur Entwicklung seines sogenannten „Verfremdungseffekts“ und veränderte das Konzept des Publikums im Theater grundlegend.
Die Performance von Jennifer Walshe, Tomomi Adachi und Hardi Kurda wirkt auf ein ähnliches Ziel hin, allerdings mit Klang. Die drei Musiker*innen spielten jeweils zu Hause, ohne einander im traditionellen Sinne hören zu können. Stattdessen nahmen sie während des Konzerts telepathischen Kontakt zueinander auf, ohne Wissen darüber zu haben, was sich bei den Mitspieler*innen tatsächlich ereignete. Nur der Zeitpunkt, zu dem das Konzert geschah, und die Partitur, das Bild eines kurdischen Teppichs von Hardi Kurda, rahmten das Konzert.
Alle drei Musiker*innen haben ihre jeweilige Darbietung aufgenommen. Nach dem Konzert wurden die drei Aufnahmen zu einer Collage zusammengefügt, um das tatsächlich Geschehene hörbar zu machen.
Das Publikum war eingeladen, sich während der Performance telepathisch einzuschalten, Notizen zum Gehörten zu machen und diese mit den Performer*innen in der Kommentarfunktion des Facebook-Events zu teilen.
Facebook Event
Telepathisches Konzert live am 19.6.2020, 20 Uhr
Publikumsreflexionen in der Kommentarfunktion auf Facebook erwünscht
Veröffentlichung der musikalischen Collage online am 21.6.2020, 20 Uhr
Jennifer Walshe wurde 1974 in Dublin, Irland, geboren. Sie studierte Komposition bei John Maxwell Geddes an der Royal Scottish Academy of Music and Drama und bei Kevin Volans in Dublin. Im Juni 2002 graduierte sie an der Northwestern University, Chicago, wo sie bei Amnon Wolman und Michael Pisaro studiert hatte.
Ihre Musik wurde auf der ganzen Welt in Auftrag gegeben, aufgeführt und ausgestrahlt. Neben ihrer Arbeit als Komponistin tritt Jennifer Walshe als Vokalsolistin auf, die sich auf erweiterte Stimmtechniken spezialisiert hat. Ebenso tritt sie mit Improvisationen auf und konzertiert mit Musikern in Europa und den USA und in ihrem Duo Ma La Pert mit Tony Conrad. Derzeit ist Walshe Professorin für experimentelle Performance an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Stuttgart. Seit 2019 ist sie Mitglied der Akademie der Künste Berlin.
Tomomi Adachi, geboren 1972 in Kanazawa (Japan), ist ein Performer/Composer, der eigene Stücke und Improvisationen verwirklicht, aber auch experimentelle Werke von Komponisten wie John Cage, Cornelius Cardew und Christian Wolff aufführt. Für seine Performances benutzt Adachi häufig selbst entworfene elektronische Instrumente wie etwa das „Infrared Sensor Shirt“, das ihm erlaubt, musikalische Ereignisse durch seine Körperbewegungen fernzusteuern. Ein wichtiger Teil seiner musikalisch-künstlerischen Aktionen ist der experimentelle Umgang mit der Stimme, wobei er oft die Möglichkeiten der Elektronik nutzt. Er lebt seit 2012 in Berlin.
Hardi Kurda studierte Musik in Slemani (Kurdistan) und Komposition in Göteborg und Leipzig und ist Doktorant an der Goldsmith University in London. In seinen Performances und Kompositionen benutzt er das Radio als ein Instrument, um das Spektrum der Radiofrequenzen als Klangmaterial zu untersuchen. Hardis Werke wurden u.a. auf dem Irtijal Festival in Beirut, den Berliner Festspielen, der MaerzMusik und der Sound Place Ausstellung in London aufgeführt und vom Department of Public Art in Göteburg, dem Swedish Art Grants Committee und dem Goethe Institut in Auftrag gegeben. 2017 gründete Hardi das Space 21 Festival für Klangkunst und experimentelle Musik, das jährlich in der autonomen, kurdischen Region im Irak stattfindet.