Thomas Brasch

Filme und Gespräche

Thomas Brasch ist geworden, was er nie werden wollte: eine Legende, eine Projektionsfläche. Weil er sich nicht vereinnahmen lassen wollte, weder von Ost noch von West, blieb er unbehaust – im ständigen Widerspruch mit sich und den Verhältnissen. Wir zeigen u. a. Braschs letzten Film Der Passagier – Welcome to Germany, der unbewältigte deutsche Geschichte umpflügt, sowie die gerade erschienene biografische Tour de Force Lieber Thomas von Andreas Kleinert.

Es begann an der Filmhochschule in Babelsberg, wo er nach einem abgebrochenen Studium der Journalistik in Leipzig, von 1966–68 Dramaturgie studierte. Es kam zur Exmatrikulation. Nach dem Gefängnisaufenthalt im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag 1968 vermittelt Helene Weigel ihm eine Arbeit im Brecht-Archiv, wo er sich mit Elementen des Westerns in russischen Revolutionsfilmen befasst.

Nach der Übersiedlung in den Westen entsteht der Film Engel aus Eisen (1981), der es ebenso wie der folgende Spielfilm Der Passagier in den Wettbewerb von Cannes schafft. In beiden Fällen fungiert Joachim von Vietinghoff als Produzent, der von komplizierten Dreharbeiten berichten kann. Der Passagier fand wenig Beachtung, obwohl mit Tony Curtis ein internationaler Filmstar gewonnen werden konnte. Basierend auf seinen Theater-Erfahrungen gelingt es Brasch auf höchst eigenwillige Weise, Bühne und Film miteinander zu verschränken, wobei ihn vor allem die Frage umtreibt, inwiefern der Holocaust überhaupt „erzählbar“ ist.

Oft zitiert wurde Braschs Rede, als er 1981 den Bayerischen Filmpreis erhielt, vor allem wegen seiner Danksagung an die Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung. Was er allerdings auch kundtut, ist seine Sympathie für Kriminelle („Die Kriminalität ist der urwüchsigste Ausdruck der Auflehnung…“), so die Gladow-Bande in Engel aus Eisen und so auch in seinem unvollendeten Mammut-Unterfangen der Mädchenmörder Brunke. Gabriele Radecke, die Leiterin des Literaturarchivs der Akademie, wird anhand des Manuskripts aus dem Nachlass Arbeitsverfahren Braschs nachvollziehen.

Wie verletzlich (und verletzt) der stets auf Widerspruch geeichte Thomas Brasch war, protokolliert Georg Stefan Trollers Film Annäherung an Thomas Brasch im Moment seiner Ankunft 1977 in West-Berlin. Interessant dabei, wie Brasch und Troller über die Hoheit der Bilder ringen. Wer führte hier eigentlich die Regie?

Mit dem Musiker und Komponisten Christian Kuno Kunert, der im selben Jahr nach West-Berlin ausgebürgert wurde, verband Brasch eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung. Kunert, vormals bei der Klaus-Renft-Combo, schrieb die Musik für Engel aus Eisen und Domino sowie Songs, die auf Gedichten Braschs basieren.

Auch im Gespräch mit dem Regisseur Andreas Kleinert, dem Drehbuchautor Thomas Wendrich sowie dem Kameramann Johann Feindt über den Film Lieber Thomas wird es um die „Erzählbarkeit“ einer so komplexen Biografie wie der Braschs gehen, gemeinsam mit  Kristin Schulz, Autorin und Literaturwissenschaftlerin, die zusammen mit Martina Hanf Braschs gesammelte Gedichte herausgegeben hat. Es moderiert Thomas Irmer, Redakteur Theater der Zeit.

Inspiriert und konzipiert wurden die Abende von der Regisseurin und Vize-Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst Helke Misselwitz.

22. — 23.1.2022

Sa 22.1., 19 Uhr
Lieber Thomas (Andreas Kleinert, D 2021, 150 Min.)
Gespräch mit Johann Feindt, Andreas Kleinert, Kristin Schulz und Thomas Wendrich
Moderation: Thomas Irmer

So 23.1., 18 Uhr
Personenbeschreibung: Annäherung an Thomas Brasch (Georg Stefan Troller, D 1977, 30 Min.)
Der Passagier – Welcome to Germany (Thomas Brasch, D 1988, 103 Min.)
Gespräch mit Christian Kuno Kunert, Helke Misselwitz, Gabriele Radecke und Joachim von Vietinghoff

In deutscher Sprache

€ 6/4

Kartenreservierung

Tel.: (030) 200 57-1000
E-Mail: ticket@adk.de