21.1.2021, 14 Uhr
Christoph Meckels Weltkomödie – Eine Neuerwerbung der Kunstsammlung
Das 1957 begonnene und 2005 beendete Opus Magnum des Schriftstellers und Grafikers Christoph Meckel (1935–2020) besteht aus unzähligen, als Zyklen, Serien, Friese, Einzelblätter, Dip- und Triptychen bezeichneten Radierfolgen. Mit spitzer Nadel ritzte Meckel an die 1.700 Zeichnungen in den auf Zinkblech aufgetragenen Grundierlack. Ohne zusätzliche Bearbeitung mit Kaltnadel oder Aquatinta druckte er per Handabzug mit der Radierpresse sein grafisches Hauptwerk.
Eine vom Künstler selbst aus dem opulenten Fundus getroffene Auswahl von einigen hundert Blättern übernahm die Akademie ein Jahr vor seinem Tod. Die Erwerbung war dank der großzügigen Zuwendung einer südwestdeutschen Mäzenin möglich.
Wie in einer großen Zeitkapsel gefangen agieren sowohl die Hauptfigur, Christoph Meckels „alter ego“, ein Fremdling namens Moël mit Hut, als auch alle anderen Wesen dieser Bildwelt.
Ihr Schöpfer bemerkte einmal kritisch über seinen Protagonisten Moël im ersten Zyklus, dass er diesen als nicht lebendig empfand und er im Fortgang des Schaffens versuchte, ihm Leben einzuhauchen. Diese Kunstfigur und ihr Fisch und alle anderen Mitspieler der „Komödie“ treten einzeln und in Massen auf, nicht auf einer Bühne, sondern in einem weiten Erzählraum, dessen Zeitbezüge so abstrakt sind, dass er sowohl als geschichtenreicher, zugleich aber geschichtsloser Raum erscheint, der seit Urzeiten bis in ein neuzeitliches Maschinenzeitalter viele Varianten des Daseins, aber keine Veränderung kennt.
Die Akteure bewegen sich in surrealen Raumkonstellationen mit paradoxen Apparaturen und fremdartigen Gegenstandsarrangements, oder sind auf Wanderschaft durch bizarre Landschafts- und Zivilisationsräume mit Fabeltieren und Maschinenwesen, und nicht zuletzt verschwinden sie hinter abstrakten Bildzeichen und Flächenmustern. Es ist ein privatmythologischer Kosmos mit schwankenden Raumkoordinaten und meteorologischen Turbulenzen, anachronistisch, unzeitgemäß, ohne jeglichen Seitenblick auf ein zahlendes Publikum geschaffen, der beim Betrachten gleichwohl eine eigentümliche Sogwirkung entfaltet.
Im Unterschied zu Max Beckmann, dessen Kraft seiner „unausdeutbaren Privatmythologie“ verschiedentlich gepriesen wurde, der aber nicht nur als Mensch und Künstler, sondern auch als Hauptfigur seiner Bildwelt ganz von „dieser Welt“ war, erscheinen die Ensemblemitglieder aus Meckels Welttheater in immer neuem Gewand und veränderter Konstellation auf alle Ewigkeit verdammt zu immer Gleichem in einer geschichtslosen Welt. Aber vielleicht müssen wir uns sie auch, wie Camus‘ Sisyphos, als glückliche Menschen vorstellen.
Ansprechpartnerin: Dr. habil. Rosa von der Schulenburg, Leiterin der Kunstsammlung