Die Affäre Heinrich Schulz – eine unbekannte Zeichnung von Magnus Zeller
Warum ziehen Künstler – unter ihnen Klaus Richter und Hans Purrmann – eine römische Kutsche, auf der ein Reichsadler prangt? Warum wird die Kutsche von einem Herrn Schulz gelenkt, der zudem einen Geldbeutel in der Hand hält und von der hinter ihm stehenden Maja Kahn begleitet wird? Und warum wirft ein Mann, der eindeutig als der Maler Otto Nagel zu erkennen ist, eine Bombe in die Gesellschaft? Das Bild scheint Rätsel aufzugeben. Doch Magnus Zeller (1888–1972) hat mit dieser bisher unbekannten und nicht datierten Bleistiftzeichnung eine Affäre der Deutschen Kunstgemeinschaft in den letzten Jahren der Weimarer Republik thematisiert. Das vor Kurzem vom Archiv der Akademie der Künste erworbene Blatt widmete er einem der Protagonisten, „s[einem] l[ieben] Otto Nagel“.
Die Deutsche Kunstgemeinschaft wurde im Frühjahr 1926 auf Initiative des SPD-Mitglieds und Staatssekretärs im Reichsministerium des Innern Heinrich Schulz gegründet. Zum Arbeitsausschuss zählten neben Schulz und anderen auch Hans Baluschek, Charlotte Berend-Corinth und der Kunstschriftsteller Max Osborn, dem Ehrenausschuss gehörten viele Personen an, unter anderem Käthe Kollwitz und Max Liebermann. Vom Reich finanziell unterstützt, präsentierte die Deutsche Kunstgemeinschaft ab Mai 1926 regelmäßig Ausstellungen im Berliner Schloss, später noch an anderen Orten der Hauptstadt und in weiteren deutschen Kunstzentren. Das Ziel bestand darin, Kunstkäufe anzuregen, um damit die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Gleichzeitig wollte man originale Werke in breite Bevölkerungsschichten bringen. Gezeigt wurden Ölgemälde, Aquarelle, Pastelle, Grafik und Plastik aller künstlerischen Richtungen. Im Fall eines Ankaufs ermöglichte ein von der Kunstgemeinschaft eingerichteter Fonds, dem Künstler die gesamte Summe sofort zu übergeben. Der Käufer konnte den Betrag in Raten abzahlen. Auch Kunstverleih und -abonnements aus dem Bestand der Kunstgemeinschaft wurden angeboten. Neben privaten Interessenten gehörten Kommunen, Behörden und Museen zu den Käufern der Werke, die keineswegs nur von jungen, unbekannten Künstlern stammten. So berichtete die Presse im Oktober 1930, dass das Porträt Sahm von Otto Dix für 4.000 Mark von der Stadt Danzig erworben worden war.
Aber es gab auch Beschwerden von Künstlern, die monierten, dass sie durch die niedrigen Einkaufspreise der Kunstgemeinschaft stark geschädigt würden. Magnus Zeller und Otto Nagel, deren Archive in der Akademie der Künste betreut werden, gehörten zu den Kritikern, obwohl sie, wie die Jahresberichte der Organisation zeigen, selbst in der Kunstgemeinschaft ausstellten und verkauften. Allerdings werden in den Verkaufslisten große Preisunterschiede zwischen den einzelnen Künstlern und Werken deutlich. Zum Beispiel erzielte Nagel für seine vier bis Ende 1928 verkauften Gemälde jeweils zwischen 200 und 360 Mark, während Klaus Richter, der Jugendfreund Magnus Zellers, für sein Bild Der sterbende Torero vom Kultusministerium 2.000 Mark erhielt. Der Corinth-Schüler Richter wurde später Vorsitzender des Vereins Berliner Künstler. Bekannt ist vor allem sein rätselhaftes Hitler-Porträt, das sich sowohl im Stadtmuseum Berlin als auch im Deutschen Historischen Museum befindet. Auch der Matisse-Schüler Hans Purrmann stellte in der Deutschen Kunstgemeinschaft aus, so (wie Richter und Zeller) 1930 in der Herbstausstellung „Neue Deutsche Kunst 1930“; Verkäufe über die Organisation lassen sich bisher nicht nachweisen.
Doch was hat es mit der Bombe auf sich? In der linkssozialistischen Berliner Zeitung Die Welt am Abend veröffentlichte Otto Nagel am 20. und 21. März 1931 zwei Artikel, in denen er Heinrich Schulz Vetternwirtschaft und die Verschwendung öffentlicher Gelder unterstellte. Bereits 1927 hatte Nagel in den Sozialistischen Monatsheften erklärt, dass die Verwaltungkosten der Organisation in keinem Verhältnis zum Umsatz stünden. Nun warf er Schulz sowie dessen Privatsekretärin und Lebensgefährtin Maja Kahn hohe Reisespesen, fragwürdige Einkaufs- und Verkaufsmethoden, den Kauf eines neuen Autos und die Neueinrichtung der Büroräume im Schloss vor. Außerdem würde Schulz bei den Ankäufen Künstler bevorzugen, die nicht notleidend seien und einen festen Markt hätten. Vermutlich spannte Magnus Zeller in seiner Zeichnung Hans Purrmann auch deshalb neben Richter „vor den Karren“.
Die Beschuldigungen Nagels lösten eine umfassende Affäre aus. In der Jahresversammlung der Kunstgemeinschaft und in einem Offenen Brief musste Schulz zur Verwendung der Mittel Stellung beziehen. Obwohl ihm die Kunstgemeinschaft das Vertrauen aussprach, erfolgte danach ein weiterer, wohl auch politisch motivierter, Vorstoß gegen ihn durch einen Beamten des Innenministeriums. Schulz widerlegte alle Vorwürfe. Dennoch wurden ab August 1931 die laufenden Beihilfen des Ministeriums eingestellt. Im September trat der langjährige Schatzmeister, der Bankier Hugo Simon, zurück. Schulz weigerte sich, die Geschäftsführung der Kunstgemeinschaft niederzulegen, dann verstarb er überraschend im September 1932. Die Deutsche Kunstgemeinschaft wurde im August 1936 aufgelöst.
Autorin: Anke Matelowski, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv Bildende Kunst der Akademie der Künste.
Erschienen in: Journal der Künste 19, November 2022, S. 48-49