Zur Gründung der Deutschen Film Aktiengesellschaft (DEFA) vor 75 Jahren
Das leicht vergilbte, vom vielen Gebrauch abgegriffene und mittlerweile sehr fragile Dokument bestätigte, dass Kurt Maetzig als Chefredakteur und Produktionsleiter der Wochenschau „Der Augenzeuge“ einer wichtigen künstlerischen Arbeit nachging. Damit konnte er sein Anrecht auf Lebensmittelmarken geltend machen und sich in allen vier Besatzungszonen Berlins frei bewegen. Doch am 3. April 1946, als der Ausweis ausgefertigt wurde, gab es die ausstellende Deutsche Film AG streng genommen noch gar nicht. Erst gut sechs Wochen später wurde sie offiziell gegründet.
Den Auftrag zur Neuerrichtung einer deutschen Filmindustrie hatte die sowjetische Besatzungsmacht bereits kurz nach Kriegsende erteilt. Zu den Ersten, die sich bei der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung für diese Aufgabe meldeten, gehörte der damals 34-jährige Kurt Maetzig, der zuvor lediglich durch die Arbeit in der väterlichen Filmkopieranstalt mit dem Medium Film in Berührung gekommen war. Aus ihm und den Szenenbildnern Carl Haacker und Willy Schiller, den Schauspielern Adolf Fischer und Hans Klering sowie dem Kaufmann und Beleuchter Alfred Lindemann wurde im November 1945 eine Arbeitsgruppe gebildet, welche die Wiederaufnahme der Filmproduktion vorbereiten sollte. Dieses „Filmaktiv“ erkundete, welche Produktionsmöglichkeiten und welche Filmtechnik noch existierten, knüpfte Kontakte zu anderen Filmbeschäftigten und begann, die neue Firma aufzubauen. Bald wurde auch ein Name für die neue Firma gefunden: Deutsche Film Aktiengesellschaft, abgekürzt DEFA. Hans Klering entwarf das Logo: zwei weiß bzw. schwarz stilisierte Filmbilder nebeneinander, mit den jeweils farblich invertierten Buchstaben DEFA darauf.
Nach Maßgabe der sowjetischen Besatzungsmacht sollte zuerst eine Wochenschau mit einem neuen künstlerischen und publizistischen Profil entstehen. Diese Aufgabe übernahm Kurt Maetzig, bereits Mitte Januar 1946 begann er mit den Dreharbeiten. Am 19. Februar 1946 hatte die erste deutsche Wochenschau im Nachkriegsdeutschland Premiere, zugleich die erste Produktion der neuen Filmgesellschaft überhaupt.
Maetzig arbeitete als Regisseur, Autor und gelegentlich auch als Sprecher gemeinsam mit seiner damaligen Frau Marion Keller an der Wochenschau, die kurz darauf in „Der Augenzeuge“ umbenannt wurde. Sie prägten das Motto des Filmmagazins: „Sie sehen selbst – Sie hören selbst – urteilen Sie selbst!“ Später erinnerte sich Maetzig: „Ich fühlte mich völlig frei, und ich war in dieser Anfangsphase auch völlig frei. Es war ein Zensor da, aber der machte vom Zensurrecht kaum Gebrauch. Das gab uns das Gefühl von großer Freiheit und Souveränität …“
Auch der erste Spielfilm der DEFA wurde noch vor deren eigentlicher Gründung in Angriff genommen. In den Trümmern Berlins begann Wolfgang Staudte am 4. Mai 1946 mit den Dreharbeiten für den ersten deutschen Nachkriegsfilm Die Mörder sind unter uns.
Am 17. Mai 1946 war es dann soweit: In den Hallen der Althoff-Ateliers in Alt Nowawes, Babelsberg, wurde nun auch offiziell feierlich die neue Filmproduktionsgesellschaft gegründet. Sie sollte, wie es der sowjetische Kulturoffizier Sergej Tulpanow formulierte, dabei „helfen, in Deutschland die Demokratie zu restaurieren, die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien und sie zu sozialistischen Bürgern zu erziehen“. Tulpanow überreichte die Lizenz für die „Herstellung von Filmen aller Kategorien“ an fünf Lizenznehmer, unter ihnen auch Kurt Maetzig, der zum ersten künstlerischen Direktor der DEFA ernannt wurde.
Nur wenig später gelangte eine Novelle von Hans Schweikart auf seinen Tisch, die auf dem Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Frau basierte. Als diese 1941 in das Lager Theresienstadt deportiert werden sollte, beging Gottschalk gemeinsam mit ihr Selbstmord.
Der Stoff sprach Maetzig an, auch weil er in ihm Paral-lelen zum Schicksal seiner jüdischen Mutter sah. Seine Eltern hatten sich zwar wegen der Nürnberger Gesetze 1935 offiziell scheiden lassen, heimlich aber weiter getroffen. Als seiner Mutter 1944 die Deportation drohte, nahm auch sie sich das Leben. Maetzig beschloss daher, die Vorlage selbst zu verfilmen. Im Winter 1946/47 schrieb er das Drehbuch zu Ehe im Schatten, und am 3. Oktober 1947 hatte der Film gleichzeitig in allen vier Sektoren Berlins Premiere. Er traf auf eine große Publikumsresonanz. In kurzer Zeit sahen ihn über zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer – damit war er der erfolgreichste deutsche Film jener Jahre. 1948 gehörte er zu den ersten Preisträgern des vom Verleger Franz Burda gestifteten neuen Publikumspreises der Zeitschrift Film-Revue, der wenig später als „Bambi“ bekannt werden sollte.
Die DEFA bestand über 40 Jahre und stellte in dieser Zeit mehr als 700 Spielfilme, 2.250 Dokumentarfilme und 750 Animationsfilme her. Nach dem Ende der DDR wurde das Filmstudio 1992 verkauft. Der neue Besitzer strich die Abkürzung „DEFA“ aus dem Firmennamen und benannte das Studio in Studio Babelsberg um. Seit 1998 sorgt sich die DEFA-Stiftung um das filmische Erbe der Produktionsfirma, ebenso wie die Akademie der Künste mit der Bewahrung der Archive zahlreicher Künstlerinnen und Künstler, die für die DEFA gearbeitet haben.
Autor: Torsten Musial, Leiter des Archivs Film- und Medienkunst der Akademie der Künste.
Erschienen in: Journal der Künste 16, September 2021, S. 50-51