„O dicht’, solang’ Du dichten kannst!“ Die Autogrammbüchlein der Susi Alberti

Widmung Otto Klemperers in Budapest am 25. Juli 1933, kurz vor seiner Emigration in die USA

Sämtliche Mitglieder der Comedian Harmonists unterschreiben für Susi Alberti zu Weihnachten 1932: Roman Cycowski, Erich Collin, Robert Biberti, Ari Leschnikoff, Erwin Bootz und Harry Frommermann

Mitunter sind es die kleinen Dinge, die zumindest symbolisch dem großen Unrecht in der Geschichte ein wenig die Stirn bieten: Mit den drei Autogrammbüchlein der Susi Alberti hat ein sehr persönliches, ein ganzes Jahrhundert lang über viele Länder hinweg sorgsam bewahrtes Andenken an die Begegnung mit großen Künstlern der ernsten wie der Unterhaltungsmusik aus dem Berlin vor 1933 die historischen Katastrophen der letzten 100 Jahre überlebt. Nun haben Albertis Erben die Büchlein aus Australien in die Stadt zurückgebracht, die die darin verewigten Künstler einst rigoros aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte.

Susi Alberti war die jüngere Tochter des 1884 in Miskolc im Nordosten Ungarns geborenen Musikverlegers Victor Alberti (eigentlich Victor Altstätter), der in Budapest die Verlagsnotenhandlung Rózsavölgyi führte und nach dem Umzug nach Berlin die Musikverlage Alrobi, Alberti Musik, Ufaton, Dreiklang-Dreimasken und Doremi gründete. Vor seiner Flucht aus Deutschland war er stellvertretender Schatzmeister des Deutschen Musikverleger-Verbandes. Bis 1938 leitete er in Wien den Octava-Verlag, dann flüchtete er auf Anraten des Dirigenten Antal Doráti mit seiner Familie nach Australien, wo er wiederum einen Verlag leitete. Susi Alberti war bei ihrem Eintreffen in Australien 21 Jahre alt. Sie hatte keine beruflichen Erfahrungen und arbeitete zunächst als Au-pair auf dem Land in der Familie von Yehudi Menuhins Schwester, Hephzibah Menuhin. Da sie in Europa jedoch immer in großen Städten gelebt hatte, zog es sie bald nach Melbourne, wo sie eine Stelle in einer Buchhandlung antrat, die nicht zuletzt durch ihr Engagement zu einem kulturellen Zentrum der Stadt wurde und den bezeichnenden Namen „Hill of Content Bookshop“ führte.

Die Autographenbüchlein hatte der Vater für seine Tochter unmittelbar nach ihrer Geburt als eine Art von künstlerischem Stammbuch angelegt. Sie war noch nicht einmal im Schulalter, als die Geiger Fritz Kreisler, Bronisław Huberman und Carl Flesch ihre Autogramme gaben, sie war gerade sechs Jahre alt, als der Pianist Paul Wittgenstein, der Geiger Joseph Szigeti, der Cellist Pablo Casals, die Dirigenten Erich Kleiber (nach der Uraufführung von Alban Bergs Oper Wozzeck) und Fritz Busch sowie der Komponist Igor Strawinsky unterschrieben.

In einem weiteren Büchlein finden sich Unterschriften der Dirigenten Otto Klemperer, Bruno Walter, Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler und Willem Mengelberg, der Schriftsteller Thomas Mann, Stefan Zweig und Ferenc Molnár (Autor des Liliom) und des Komponisten Zoltán Kodály.

Dass zunächst der Vater für seine Tochter um Einträge ersuchte, wird aus einem weiteren, den Unterhaltungsmusikern gewidmeten Büchlein besser ersichtlich (Alberti trennte die Sphären „E“ und „U“ übrigens ganz deutlich). So schreiben die Mitglieder der Comedian Harmonists Susi zu Weihnachten 1932:

 

Autogramm für Albertis Tochter Susi?

Ich kennse nicht! Na, erlaub’ mal, kennst Du sie?

Wir kennen sie zwar alle nicht, doch bilden wir uns ein „Es muß was Wunderschönes sein“

 

Die letzte Zeile paraphrasiert einen berühmten Liedanfang aus Ralph Benatzkys Singspiel Im Weißen Rössl, das erst zwei Jahre zuvor in Berlin uraufgeführt worden war. Der originale Wortlaut dieser Zeile wird in einem Eintrag von Benatzky selbst einige Seiten weiter zitiert, wo dieser im Februar 1933, mit Alberti im Nachtzug sitzend, schreibt:

 

G’stanzl im Zug

Es muss was Wunderbares sein,

von Dir geliebt zu werden,

doch wenn der Zug fährt, Susylein,

so tut’s die Schrift gefährden,

ich schreib’ zwar sonst auch nicht sehr schön

doch immerhin

hab’ ich noch nie so geschmiert

wie heut’ auf der Fahrt Wien–Berlin!

 

In einem Eintrag vom 23. Juli 1933 schließlich hält der Textdichter und Librettist Robert Gilbert, der uns etwa durch seine Übertragung der Songtexte aus My Fair Lady ins Deutsche (bzw. ins Berlinerische) bekannt ist, seiner Zeit den Spiegel vor. Er braucht dafür lediglich zwei Zeilen, weil er darauf zählen kann, dass die Anspielung auf Ferdinand Freiligraths „O lieb’, solang du lieben kannst“ ebenso verstanden wird, wie die auf der Hand liegende Doppelbedeutung von dichten und leck:

 

O dicht’, solang’ Du dichten kannst,

Die Welt ist leck genug!

 

Die Lust, ständig mit der Sprache zu spielen und sich dabei auch noch selbst zu persiflieren, ist wohl ein Signum der Zeit. Was aber auffällt, ist die Art und Weise, wie Victor Alberti mit Künstlern umzugehen pflegte: Sie wussten sich von ihm verehrt, sahen in ihm einen Freund, und wenn er ein Geschäftsmann war, so war er auch ein Treuhänder ihrer Interessen, ein Händler, der mit Musik handelte, ohne Kunst oder Künstler zur Ware zu degradieren.

Susi Alberti, die später in Australien den Sohn eines ehemaligen Sängers der Budapester Oper, Tamás Gábor, heiratete und danach Susanne Elizabeth Gábor hieß, betrachtete die Autogrammbüchlein nicht als abgeschlossene Lebens-Mitgift ihres bereits 1942 verstorbenen Vaters, sondern legte sie vereinzelt auch in Australien noch Künstlern vor (etwa 1970 dem Geiger Yehudi Menuhin) und ergänzte Einzelblätter, biographische Notizen und ausgewählte Korrespondenz. Mrs. Gábor starb 2014 im Alter von 95 Jahren.

Durch die Vermittlung des Berliner Exilforschers Albrecht Dümling kam der Enkelsohn von Victor Alberti, Charles Baré, der heute in Victoria/Australien lebt, mit der Akademie der Künste in Kontakt und besuchte im Sommer 2019 mit seiner Frau Liz das Musikarchiv, um im Namen seiner Familie die Autogrammbüchlein seiner Großtante der Akademie zu übereignen.


Autor: Werner Grünzweig, Leiter des Musikarchivs der Akademie der Künste.

Erschienen in: Journal der Künste 14, November 2020, S. 48-49