26.3.2021, 09 Uhr
Der Heinrich-Mann-Preis 1953 und der 17. Juni
© Akademie der Künste
Am 26. März 1953 beschloss die Deutsche Akademie der Künste, den neugestifteten Heinrich-Mann-Preis den drei Autoren Stefan Heym, Wolfgang Harich und Max Zimmering zu verleihen. Der Preis ging auf eine Verordnung der DDR-Regierung vom 16. März 1950 zurück, mit der das Gedächtnis an Heinrich Mann, den ersten Präsidenten der 1950 in Ost-Berlin neu gegründeten Akademie, wachgehalten werden sollte. Teil dieses Beschlusses war außerdem die Herausgabe einer Heinrich-Mann-Werkausgabe durch die Akademie. Der Preis in drei Klassen wurde ausdrücklich für junge Autoren gestiftet, dennoch hatte die Akademie im Herbst 1952 als Preisträger Arnold Zweig, Ernst Bloch und Stefan Heym (in dieser Rangfolge) bestimmt. Der Preis sollte am 10. November, dem 65. Geburtstag des Akademiepräsidenten Zweig, überreicht werden. Doch die Vergabe wurde vom zuständigen Volksbildungsminister Paul Wandel rundweg abgelehnt.
Auch die im folgenden Verfahren auserkorenen Kandidaten konnten bis auf den 29-jährigen Harich nicht unbedingt als jung bezeichnet werden. Heym war knapp 40, Zimmering gar 43 Jahre alt. Deshalb wollte die Akademie den Begriff in Richtung „neue Autoren“ auffassen: Schriftsteller, „die in der vergangenen Epoche ihre Begabungen nicht entwickeln konnten“, hieß die salomonische Formel. Auch das traf auf die beiden älteren Preisträger nicht zu, denn sie publizierten seit den 1930er-Jahren Bücher. Alle drei hatten bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Heym musste 1933 aufgrund eines Schüler-Gedichtes vor den Nazis fliehen, kämpfte dann in den amerikanischen Streitkräften gegen das Hitlerregime, um schließlich 1952 aus Zorn über das Amerika der McCarthy-Ära seine Staatsbürgerschaft wieder abzugeben. Max Zimmering rettete sich als Kommunist und Jude ins Exil, um in Prag und London literarisch gegen Nazideutschland Stellung zu beziehen. Wolfgang Harich desertierte aus der Wehrmacht und beteiligte sich im Untergrund an Aktionen der Berliner Widerstandsgruppe „Ernst“.
Die zwischenzeitliche Festlegung des Termins auf den 27. März, den Geburtstag von Heinrich Mann, konnte wiederum nicht gehalten werden, denn die Akademie befand sich ebenso wie die ganze DDR in diesem Frühjahr 1953 in schwerem Fahrwasser. Die Trauerfeierlichkeiten nach Stalins Tod am 5. März forderten alle Kräfte, Ulbrichts 60. Geburtstag im Juni warf seine Schatten voraus. Eine Ausstellung zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft mit dem Titel „Patriotische Kunst“ wollte vorbereitet sein. Außerdem löste Hanns Eislers Libretto Johann Faustus und seine Interpretation durch Ernst Fischer in Sinn und Form harsche Kritik im Neuen Deutschland aus. Sämtliche Arbeiten der Meisterschüler waren von den Juroren der im März eröffneten „Dritten Deutschen Kunstausstellung“ in Dresden zurückgewiesen worden. Das Doppelporträt von Marx und Engels, entworfen durch den Leiter des Meisterateliers für Bildhauerei Gustav Seitz, war durchgefallen. In der Akademie beeilte man sich, aus der Defensive zu kommen, verschlimmerte aber den Schaden nur. Eine Faustus-Debatte wurde anberaumt, die Entlassung der Meister vorbereitet, die Ablösung des Chefredakteurs von Sinn und Form, Peter Huchel, beschlossen.
Doch es kam noch ärger. Am 17. Juni gingen die Arbeiter auf die Straße und forderten das Ende der SED-Herrschaft. Nur die sowjetischen Panzer retteten die Partei, die mit einem „Neuen Kurs“ die Erosion verhindern wollte. In der Akademie war man über die Entwicklung bestürzt. Zwar scharten sich die Mitglieder hinter der Parteiführung, doch trugen sie zugleich massive Kritik an deren Kulturpolitik vor.
Nachdem alle Beteiligten in den Abgrund geschaut hatten, versammelte sich die Akademie gar nicht festlich gestimmt am 26. Juni 1953 im Plenarsaal des Hauses Robert-Koch-Platz 7 zur Preisverleihung. Minister Paul Wandel gab in einer Ansprache die politische Marschrichtung vor. Es komme nicht auf „irgendwelche Mängel, Fehler und dergleichen an, sondern [auf die] grosse neue Orientierung“. Der neue Akademiepräsident Johannes R. Becher verlas die Preisbegründungen und überreichte die Urkunden. Die Preisträger, die kurze Dankesreden hielten, spendeten die Preisgelder für den Wohnungsbau und die Hinterbliebenen der Volkspolizisten, die am 17. Juni „ermordet“ (Heym) worden seien. Alle drei genierten sich, in diesen Tagen eine Auszeichnung entgegenzunehmen und äußerten sich selbstkritisch. Heym nahm sich vor, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, nicht „wie wir sie gern sehen möchten. […] Heinrich Mann hat sich niemals dazu hergegeben, rosige Bilder zu malen und Menschen und Situationen zu idealisieren“.
Viele Jahre arbeitete sich Heym an der Bewertung des 17. Juni ab und geriet dabei zwischen alle Stühle. Der ebenfalls kritisch gestimmte Becher ließ sich dagegen noch stärker in die Pflicht nehmen und wurde Minister für Kultur. Auch Zimmering übernahm wichtige administrative Aufgaben, wurde Sekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes und Direktor des Literaturinstituts in Leipzig. Radikale Konsequenzen zog Harich, der schließlich 1956 Ulbricht stürzen wollte und deshalb lange Jahre im Zuchthaus absitzen musste. Schon 1953 forderte der Parteisekretär der Humboldt-Universität, an der Harich als Philosophieprofessor tätig war, im Auftrag der SED-Bezirkskontrollkommission von der Akademie Auskunft darüber, wer Harich für den Preis vorgeschlagen habe. Mit einer Aktennotiz über dieses inquisitorische Telefonat endet die Akte des ersten Heinrich-Mann-Preises, der seither jährlich am 27. März, dem Geburtstag des Namensgebers, verliehen wird.
Carsten Wurm